Ode an den Lemberger – Württembergs vergessener Schatz
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Ein persönlicher Eindruck
Lemberger ist kein Lautsprecher. Er flüstert erst – Brombeere, Sauerkirsche, ein Hauch Wacholder – und wenn man geduldig zuhört, erzählt er vom Boden. Von kühlem Keuper, warmem Mergel, vom Wind, der zwischen Neckar und Stromberg die Blätter kräuselt. Er ist kein Zuckerkünstler, kein Likör im Traubenkleid. Er will Kante haben dürfen, Säure und Gerbstoff als Rückgrat – nicht als Makel.
Auf dem Heilbronner Weindorf habe ich dieses Jahr oft nur Süßholz gehört, wo eigentlich Gewürz sein sollte. Polierte Frucht ohne Puls. Glatte Reden, wo der Lemberger doch ein ehrlicher Dialektsprecher ist. Und doch: Wenn er ernst genommen wird, wenn man ihn nicht glattzieht, sondern führt, dann trägt er Anzug und Messer zugleich – elegant, aber mit Schneide.
Herkunft und Geschichte der Lemberger-Traube
Lemberger ist der hiesige Name für Blaufränkisch – in Ungarn Kékfrankos, in Tschechien/Slowakei Frankovka, in Slowenien Modra Frankinja. Genetisch ist er eine Kreuzung aus Gouais blanc (Weißer Heunisch) und Blauer Zimmettraube; als Heimat gilt historisch Untersteiermark (heute überwiegend Slowenien). Nach Deutschland kam er im 19. Jahrhundert unter dem Handelsnamen „Lemberger“, mutmaßlich über Lemberg/Limburg in Niederösterreich. Er treibt früh aus, reift spät, bringt vitalen Säurezug und markante Tannine – und liefert bei strenger Ertragskontrolle tiefgründige, würzige Weine mit Kirsche, Brombeere und Pfeffer. Bei hohen Erträgen wird er dünn, grasig, belanglos.
Heute stehen über 90 % der deutschen Lemberger-Reben hier. Typisch sind dunkle Beerenfrucht, pfeffrige Würze und ein lebendiger Säurezug, der den Wein spannend macht. Doch: Nur bei strenger Ertragskontrolle entfaltet er sein volles Potential.
Warum geriet er (mancherorts) in Vergessenheit – und warum so süß?
Drei Gründe, kurz und schmerzhaft:
- Ertrags- & Stilpolitik der Vergangenheit. Lemberger trägt gut – zu gut. Wenn man ihn auf Menge trimmt, verliert er Profil. In Regionen mit starkem Genossenschaftsanteil wurde historisch häufig auf breite Trinkigkeit statt kantiger Herkunft gesetzt; in Württemberg stammt(e) ein Großteil der Produktion aus Genossenschaften. Das hat Wert für Alltagsweine, bremst aber Charakter, wenn Ertragsdisziplin und Lagenfokus fehlen.
- Süße als Kosmetik. Restsüße glättet den Biss junger, tanninreicher Rotweine und macht sie „gefälliger“. Das sieht man traditionell beim Trollinger und in manchen Cuvées – schnell trinkbar, fruchtig, leicht süß. Beim Lemberger aber übertüncht Zucker oft genau das, was ihn spannend macht: Säurezug, Würze, Zartbitter-Tannin.
- Klima & Timing. Früher war Lemberger in kühleren Jahren schwer voll auszureifen; dann half Süße, grünes Tannin zu kaschieren. Heute gäbe das Klima vielen Lagen die Chance auf trocken, präzise, herkunftsbetont – wenn man es will und im Weinberg arbeitet. (Das belegen die Top-Beispiele aus Österreichs Burgenland seit Jahren.)
Die gute Nachricht: Überall dort, wo man Ertrag zügelt, später liest und sauber extrahiert, zeigt Lemberger plötzlich Tiefgang – und hält Barrique ebenso aus wie großen, neutralen Holzfassausbau. Internationale Verkoster feiern längst einzelne Württemberger Betriebe für exakt diesen Weg.
Trollinger & Lemberger – der typische TL aus Württemberg
Der TL ist so schwäbisch wie Kehrwoche und Keuper: Trollinger bringt helle Frucht, Leichtigkeit, Trinkfluss – oft mit einem Hauch Restsüße –, Lemberger liefert Farbe, Säure, Gerbstoff und Würze. Zusammen kann das ein ehrlicher Zechwein sein, der Wirtshaustische zusammenbringt. Es kann aber ebenso eine Ausrede sein, wenn Süße die Arbeit im Weinberg ersetzt und Lemberger nur als Strukturpulver fungiert. Die besten TL sind trocken, lebendig, herkunftsnah – mit Trollingers Trinkfreude und Lembergers Rückgrat, nicht als Zuckertandem.
Warum es sich lohnt, wieder Herzblut reinzulegen
Blaufränkisch/Lemberger hat international längst bewiesen, was er kann: kühle Spannung, Gewürz, Kirsche, Tiefe – und Reifefähigkeit. In Württemberg liegt der Ball auf dem Elfmeterpunkt. Wer Lage statt Liter, Biss statt Bonbon wählt, macht Weine, die nicht nur schmecken, sondern sprechen. Und sie sprechen unsere Landschaft – das ist mehr als Markt.
Ich wünsche mir vom nächsten Weindorf weniger Zucker und mehr Mut: Mut zur Trockenschärfe, zur späten Lese, zur stillen Größe im Glas. Lemberger ist kein vergessenes Talent. Er ist ein Musiker, dem man das Metronom wieder einschalten muss.
Wenn das gelingt, dann hat Württemberg nicht nur einen ordentlichen TL im Krug – sondern Lemberger im Glas, der Geschichten trägt: von Böden, von Winzern, von einem Landstrich, der Charakter kann, wenn man ihn lässt.
Warum wir beim Seeräuber auf Lemberger setzen
Für unseren Seeräuber Gin greifen wir bewusst auf den Lemberger zurück – nicht nur, weil er ein Stück Heimat ist, sondern weil er mit seiner würzigen Tiefe und feinen Säure die perfekte Grundlage für unsere Destillate bildet. Wo andere auf neutrale Alkoholbasis setzen, tragen wir den Charakter einer ganzen Region im Glas weiter. Der Lemberger verleiht unserem Gin nicht nur Struktur, sondern auch eine unverwechselbare Identität – rebellisch im Kopf, gesellig im Herzen, so wie wir Seeräuber es leben.
Schlusswort
Der Lemberger ist kein vergessenes Talent. Er ist ein Musiker, dem man das Metronom wieder einschalten muss. Mit Disziplin im Weinberg und Mut im Keller kann Württemberg zeigen, dass es mehr kann als süße Allerweltsweine.
Und vielleicht wird das nächste Heilbronner Weindorf wieder ein Ort, an dem der Lemberger glänzen darf – trocken, ehrlich, voller Charakter.
Bild von jacqueline macou auf Pixabay
